„Serengeti darf nicht sterben!“ – Grzimeks Film und seine Botschaft prägen das westdeutsche Afrika-Bild bis heute. In Ultimate Safari werfen Flinn Works (Berlin) und Asedeva (Dar es Salaam) einen 360°-Blick auf Tierschutz und Tourismus in afrikanischen Ländern. Nationalparks und der Schutz von Wildtieren gelten weithin als uneingeschränkt gute Errungenschaften. Doch ihr Ursprung liegt in gewaltsamer kolonialer Aneignung. Safari-Tourismus ist für etliche afrikanische Staaten die Haupteinnahmequelle, gleichzeitig sperren die meisten Nationalparks die lokale Bevölkerung aus und entziehen ihr so die Lebensgrundlage. Hochtechnologische Ausrüstung und bewaffnete Ranger*innen sind ein effektives Mittel gegen illegalen Elfenbeinhandel und Wilderei, aber lebensgefährlich für nomadische Viehhirt*innen. Die Trophäenjagd durch weiße Jäger*innen gilt noch immer als probates Finanzierungsmodell für Tierschutzgebiete. Spendenfinanzierte Naturschutz-Organisationen springen ein, wo staatliche Stellen versagen, doch sie dienen auch als Geschäftsmodell und unterbinden bewährte lokale Formen des Naturschutzes. Das Ensemble aus tansanischen und deutschen Performer*innen und wechselnden Expert*innen führt das Publikum als Safari-Guides durch die multiperspektivische Erlebnisreise. Changierend zwischen Performance, Lecture und immersiven 360°-Filmszenen mit Virtual-Reality-Brillen entwickelt sich Ultimate Safari zur letzten unbeschwerten Reise in die abgründige Welt des Wildtierschutzes.
Ultimate Safari
Eine Flinn Works Produktion in Zusammenarbeit mit Asedeva
Von und mit Isack Abeneko (Performance und Choreographie), Susana Alonso (Licht Design), Lea Dietrich (Ausstattung), Alexandra Hernández Ceaicovscaia (Künstlerische Mitarbeit), Konradin Kunze (Performance und Künstlerische Leitung), Happiness Majige (Performance), Laibor Moko/Leiyo Singo (Experten), Andi Otto (Sound Design), Jürgen Salzmann (Video/VR Design), Sophia Stepf (Regie), Marit Buchmeier, Lisanne Grotz/xplusdrei Produktionsbüro (Management Flinn Works), Grischa Schwiegk/Drittmittelproduktionen (Produktionsleitung), Gabriel Orio (Organisation Tansania)
Gefördert von Senatsverwaltung für Kultur und Europa des Landes Berlin, Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen von NEUSTART KULTUR, Between Bridges
In Kooperation mit TD Berlin
Dank an Joseph Oleshangay, Mordecai Ogada, PINGO's Forum Tansania, Laibor Mokos Familie für ihre Gastfreundschaft, Bürger*innen von Endulen, Krankenhaus Endulen, Father Pat Patten, TANAPA, Ally Nassib Walagha, Octavian Paul Manga, Razalo Yohana Saito, Miraji Hamza Mahanyu, Samuel Saline Lekidina, Issacka Yohana Saito, Yare Parkepu, Bernhard Gissibl, Simone Schlindwein, Fiore Longo und Linda Poppe von Survival International, Zoo Frankfurt, Frankfurter Zoologische Gesellschaft, Museum für Naturkunde Berlin, Frauke Dornberg, Tilman Neuffer und die Kostümabteilung des Theater Bremen.
TD Berlin: 30. Juni (Premiere) - 2. Juli 2023 / Theater der Welt 2023 (Frankfurt Lab): 7. - 9. Juli 2023 / Heidelberger Stückemarkt: 1. Mai 2024 / Lichthof Theater Hamburg: 4. & 5. Mai 2024
Manchmal weht ein kühler Wind, einmal sprüht einem Nieselregen ins Gesicht. Selten wirkten VR-Brillen im Theater so produktiv und zugleich so sinnlich! Das ist toll gemacht von Regisseurin Sophia Stepf und dient natürlich dem Ziel, sich einzugrooven in die Safari-Romantik. Wer Flinn-Works-Arbeiten kennt, weiß, dass es von hier aus nicht mehr weit ist bis zu den moralischen Untiefen und kaum lösbaren globalen Konflikten. (....) entlassen uns Flinn Works und das tansanische Kollektiv Asedeva nicht mit einer Lösung, eher mit einer produktiven Verwirrung und dem Gefühl, mehr recherchieren, mehr wissen zu müssen. Denn an welchem Rad man auch immer dreht: Die Folgen sind schwer absehbar, wie die Geschichte zeigt.
Dann setzt man die 3D-Brille auf, sitzt plötzlich als Safari-Tourist auf dem Dach eines Range Rovers und sieht eine Elefantenherde zum Anfassen nahe und derart real vorbeiziehen, dass man sich fragt, ob das nicht die Blaupause für einen neuen Safari-Tourismus sein könnte. Die Tiere und Menschen in afrikanischen Nationalparks hätten ihre Ruhe und der Mitteleuropäer ein beeindruckendes Seherlebnis im eigenen Wohnzimmer.
theater heute, 09/24
Die Inszenierung ist eine kluge Komposition aus den Videos, tänzerisch und musikalisch begleiteten Szenen und einer auf Deutsch und Englisch gehaltenen Lecture über die Schattenseiten des Tierschutzes. Man lernt eine Menge, doch anders als oft im Recherche- und Dokumentartheater hat man hier nicht den Eindruck, man könnte genauso gut ein Dossier oder ein Sachbuch zum Thema lesen. Die Clips und das direkte Spiel des Ensembles vermitteln tiefere Eindrücke, geben Anlässe, sich selbst als Akteur wahrzunehmen. (...) Die Arbeit formuliert also eine aktivistische Botschaft, die durchaus sitzt. Zugleich und eher im Hintergrund skizziert der Abend jedoch auch eine technologische Vision. Die Videos erlauben dem Publikum tatsächlich eine Art Safari. Man meint, den Tieren deutlich näher zu sein, als beim Schauen von Naturfilmen. Und dabei ist hier nicht einmal 3D-Technik im Einsatz. Der technische Fortschritt könnte in der nahen Zukunft das bestehende Geschäftsmodell vom Markt drängen, wenn virtuelle Tiere so authentisch wirken wie solche aus Fleisch und Blut. Bald könnte also wirklich die allerletzte Safari stattfinden.
Im Verlauf des Abends wechseln sich Performance-Szenen im Bühnen- und dokumentarische Reise-Szenen im virtuellen Raum ab. Beide Ebenen zielen dabei gekonnt auf die Dekonstruktion ebenjenes kolonialen Safari-Formats, dessen sich die Inszenierung im ultimativen Aneignungsmodus selbst bedient. (....) die beachtliche Leistung der Inszenierung, den Wissenskomplex, dass selbst vermeintlich unbedenklicher und unterstützenswerter Natur- und Wildschutz für koloniale, kapitalistische Zwecke missbraucht wird, in seiner Historizität und Perfidität nachhaltig erfahrbar gemacht zu haben.
Dann saß man plötzlich als Tourist auf dem Dach eines Range Rovers und sah eine Elefantenherde zum Anfassen nahe und derart real vorbeiziehen, dass man sich fragte, ob das nicht der neue Safari–Tourismus sein könnte. Die Tiere und Menschen in den Nationalparks hätten ihre Ruhe und der Mitteleuropäer ein wunderbares Seherlebnis im eigenen Wohnzimmer. Flinn Works zeigte, dass neue Technologien eine Bereicherung für dokumentarisches Theater sein können.